#13 Hokkaido: Vulkane, Eiswald und der Momiji
Es stinkt höllisch nach faulen Eiern - und ist richtig schön!
Zumindest der Ausblick, nicht dieser Schwefelgeruch.
Hier oben, auf dem höchsten Gipfel von Hokkaido, dem Ashahi Vulkan, mit immerhin fast 2.300 Metern.
Ob es ein Gipfelkreuz gibt kann ich nicht sagen, denn zugegeben, ganz oben sind wir nicht. Den letzten Anstieg sparen wir uns lieber aufgrund Nebel, Wolken, Schnee-Tiefe und fortgeschrittener Tageszeit. Better safe than sorry - man liest hier von vielen Wanderern, die aufgrund spontaner Selbstüberschätzung mehr als in Ärger geraten sind. Unten im Tal war es eben noch warm und knallbunt, der Indian Summer, der Momiji, tauchte alles in rötlich-gelbe Farben. Doch hier oben sieht das ganz anders aus, alles etwas rauer, karger - und fühlt sich auch anders an. Der Wind pfeifft und ganz allgemein ist das Wetter sehr wechselhaft, verändert sich minütlich. Zum Glück sind wir gut eingepackt.
Wir sind auch nicht den gesamten Berg hochgeklettert, sondern haben gecheatet und die Gondel genommen, bis rauf auf 1.600 Meter. Aber dann ging es nochmal ordentlich weiter nach oben. Ich schnaufe, nicht nur wegen dem Faule-Eier-Geruch, sondern auch weil die Luft hier oben doch schon etwas dünner ist. Alpine moods!
Um mich herum rauscht und röchelt es, und an einigen Stellen schießen heiße Ausdünstungen hoch in den Himmel, vermischen sich mit den Wolken und dem Nebel. Es ist ein faszinierendes Schauspiel, bei dem die Wetter- und Lichtverhältnisse Roulette spielen.
Und dann dieser Berg! Der Gipfel des Asahi Dake sieht aus, als sei er in zwei Hälften geteilt. Und tatsächlich wäre er das auch fast. Vor 2.800 Jahren hat ein massiver Ausbruch einen großen Teil des Gipfels weg gesprengt. Ein riesiger Krater entstand, mit einer offenen Seite. Und genau in diesem Krater stehen wir jetzt mittlerweile. An mehreren Stellen, nicht weit von uns, strömen Gase aus dem Boden, aus den Fumarolen, Öffnungen in der Erdkruste. Man muss die launischen Windrichtungen genau im Auge behalten. Was da in die Höhe schießt sind Sulfite und Wasserdampf und 100 bis 300 Grad heiß. Um die Fumarolen bilden sich gelblichgrüne Kristalle. Und weil es hier überall brodelt, gibt es in der Gegend überall auch viele Onsen, also die heißen Quellen, die von den vulkanischen Aktivitäten erhitzt werden.
Brrr… ich bibbere. Onsen! Das wäre jetzt fantastisch, leider gibt es hier oben keine heißen Quellen, in denen man baden kann. Nur ein kleines Loch, in das man seinen Arm stecken soll (wenn man diesem japanischen Schild beziehungsweise der App-Übersetzung glaubt.) Bei mir ist die Skepsis größer als die Kälte, deshalb lasse ich das lieber. Stattdessen ziehe ich den Reißverschluss meiner Jacke noch etwas weiter zu.
Der Blick hinunter ins Tal ist ebenfalls faszinierend, vor allem auch weil die Wolken gegen Abend aufreißen. Dort unten liegt die Ebene von Asahikawa. Und dahin geht’s jetzt, es ist Zeit für unser japanisches Landhaus und ein Feuerchen mitten im Wohnzimmer.
Zentral-Hokkaido ist ein Berg- und Wanderparadies.
Ein paar Eindrücke zu Asahikawa: Die Stadt ist sehr weitläufig und geht plötzlich direkt über in landwirtschaftliche Bereiche. Alle Straßen sind schachbrettartig angelegt, Kurven gibt es kaum. Und wenn doch, warnen riesige Schilder vor dieser Kurve.
Ordentlich, gradlinig, japanisch. Die Häuser und kleinen Farmen wirken allerdings etwas heruntergekommen, wirklich neu und gepflegt jedenfalls nicht.
Unten im Tal, etwas heruntergerockt: Häuser und Infrastruktur im ländlichen Bereich von Hokkaido.
Schilderwald und Kreuzungen, so sieht's aus in Hokkaido. Hier der Blick zurück zu den Gipfeln des Daisetsuzan Nationalparks.
Binär: Geografische Schachbrettfelder - links Häuser (Asahikawa), rechts Felder.
Unsere Vulkan-Aktion auf dem Asahi ist das erste Highlight, der erste Tagesausflug von Pippu. Am nächsten Tag geht es gleich weiter, dieses Mal nördlich am Zentralmassiv vorbei und hinein in die Sounkyo-Schlucht. Allein schon die Anreise ist landschaftlich mega. Die Straße folgt der Schlucht mit ihren spektakulären Steilwänden.
Pippu liegt zentral und ist super für Ausflüge, zum Asahi Vulkan, oder wie hier in die Sounkyo-Schlucht.
Die Sounkyo-Schlucht: Steilwände, Wasserfälle und heiße Quellen - das Sounkyo Onsen.
Die Schlucht an sich ist schon bildschön und mehr als einen Besuch wert. Sie bietet aber auch den Zugang zum Kuro Dake, einem fast 2.000 Meter hohen Berg mit phänomenaler Rundumsicht über Hokkaido. Wir wollen zwar nicht ganz nach oben, aber so hoch wie es die Witterungsbedingungen zulassen.
Wir durchlaufen ein paar schöne Farben. Momiji - der japanische Indian Summer!
Ah, gut: Hier geht's also lang, vielleicht.
Zunächst nehmen wir die Gondel auf die Zwischenstation, dann noch mal einen Sessellift, noch ein gutes Stück weiter. Und schon auf der Zwischenstation stockt einem der Atem bei dieser alpinen Schönheit und dem farbenfrohen Momiji.
Momiji. Der japanische Indian Summer bietet viel für Auge und Seele. Im Tal ist’s noch spätsommerlich, am Berghang sind die Wälder gelb und rot gesprenkelt, auch wenn wir wahrscheinlich für den Höhepunkt der Momiji-Zeit ein paar Tage zu früh sind. Hier und da findet sich dazu noch tiefgrüner Bambusbewuchs. Visuell eine aufregende Mischung - und dann gibt’s da noch diese verrückte Eiskante.
Wie mit dem Lineal an den Berghängen gezogen, ein sauberer Strich. Darunter warm-rot-herbstgolden, darüber eiskalt bläulich-weiß. Bäume und Büsche, Gräser und Bambusgewächse, alles mit einem Puderzuckerguss überzogen.
Wir verlassen so langsam den goldenen Herbst, mit jedem Höhenmeter wird's winterlicher.
Offensichtlich hatte es nachts reichlich Niederschlag gegeben, der sich nun ab einer bestimmten Höhe als Schnee darstellt. Der gesamte Berghang gleicht einem verwunschenen Eiswald. Und genau da hin wollen wir jetzt aufsteigen, bis zur Schneekante und noch drüber hinaus, hinein ins Weiß.
Das ist eine immer matschigere Angelegenheit, je höher wir kommen, es taut. Der Bambus links und rechts des Wegs ist mit matschigem Schnee bedeckt. Und weil es taut, klirrt es überall, wenn Eiszapfen abbrechen und herunterfallen.
Die Atmosphäre ist einfach nur magisch, wir stehen im Schnee und gucken viele Hundert Meter steil hinunter ins Tal, direkt in die warmen Farben des Momiji. So einen schönen ästhetisch-atmosphärischen Kontrast hatte ich lange nicht mehr gesehen. Es erinnert mich etwas an die Coast Mountains im Yukon, nur dass es damals genau andersherum war: Aus den warmen Herbstfarben guckte man hoch in die weißen Eisfelder der Bergketten. Beides ist auf jeden Fall ganz großes Kino, kontrastreich und stimmungsvoll.
Es geht noch weiter hoch - und schließlich erreichen wir die Eiskante. Links und rechts klirren die Eiszapfen. Es sieht nicht nur verwunschen aus, es hört sich auch noch so an. Klirrendes Eis, wie ein Klangspiel im Wind.
Je höher wir kommen, desto kälter werden die Farben - und der Wind.
Wir stehen nun fast ganz oben, genießen den Augenblick, diesen sagenhaften Ausblick. Kühle Luft, viele weiße Gipfel umgeben uns. Ganz klar: Kuro Dake - das ist ein klasse Wanderausflug in die Bergwelt von Hokkaido! Die Landschaft zwischen den Jahreszeiten ist spektakulär und wirklich jeder Japaner und jede Japanerin auf dem Wanderweg grüßt höflich. Wir grüßen zurück, Konnichiwa! Der Aufstieg über viele Höhenmeter hat sich mehr als gelohnt, auch wenn hier oben unsere Garderobe definitiv zu dünn ist. Fröstelnd gucke ich auf die Uhr. Zeit umzukehren. Zeit für etwas Warmes!
Nach dem Abstieg aus der Eislandschaft zurück in den goldenen Herbst und weiter hinunter mit der allerletzten Gondel ins Tal, in den Spätsommer. Hier wartet eine heiße dampfende Ramen Suppe! Sommer-Herbst-Winter-Träume auf Japanisch - ich bin absolut begeistert!
Am nächsten Tag - ein neuer Hokkaido-Trip: Dieses mal geht’s von Pippu aus Richtung Süden. Unterwegs liegt der Shirogane Blue Pond auf der Route, ein smaragdgrüner, türkis-blauer See. Richtig schön! So schön und gut erreichbar, dass es auf jeden Fall auch ein touristischer Hotspot ist. Es gibt einige Reisebusse mit asiatischen Touristen, die ausgeladen werden, um erst ein Selfie mit dem blauen Wasser machen zu können, um danach in den Souvenierladen zu gehen. Irgendwas Blaues. Danach geh’s sofort weiter. Ich gucke den Reisebussen hinterher und tippe auf ein Gruppenreise-Format “Highlights of Hokkaido”. Da darf der Shirogane Blue Pond natürlich nicht fehlen.
Konsequent: Blaues Softeis am Ufer des blauen Sees, am Shirogane Blue Pond.
Der Ausflug an diesem kühlen Herbsttag endet im wohltuenden Tokachidake Hot Spring Onsen, oben auf dem Tokachi Dake, mit 2.077 Metern Höhe. Einige Kilometer haben wir uns auf einer engen Straße den Berghang hinauf geschlängelt, es wurde immer düsterer und feuchter. Das Onsen liegt schließlich vollständig in den Wolken, das ist sehr moody - und glücklicherweise ist auch kein Militärübungsplatz in der Nähe, so wie letzte Woche im Onsen in Chitose. Nein, hier ist es sehr friedlich!
Tokachidake Onsen im Daisetsuzan National Park: Etwas herunter gekommen, aber durchaus einen Besuch wert!
Ja ich mag die Onsen. Sie sind fester Bestandteil der japanischen Kultur. Die hohe seismische Aktivität (Japan liegt direkt auf dem pazifischen Feuerring) lässt vielen heiße Quellen entstehen. Archäologische Funde zeigen, dass die Einheimischen schon vor über zehntausend Jahren im warmen Wasser gebadet haben. Vielleicht auch hier, hoch oben über den Wolken?
Wir sitzen im heißen Becken, natürlich mit dem kleinen weißen Handtuch auf dem Kopf balancierend. Die Hitze tut sehr gut nach den Bergsteige-Aktionen der letzten Tage, ich genieße diesen Moment sehr. Und versuche mich wie immer adäquat zu verhalten, denn undurchsichtige Verhaltens-Regeln gibt es im Onsen viele.
Männer und Frauen baden getrennt, es gibt aber mittlerweile auch Ausnahme-Onsen. Wichtig zu wissen ist, dass Tattoos problematisch sein können, besonders wenn das Tattoo an die Yakuza erinnert, die Mafia. Und wenn man sich vor dem Bad nicht auf einen kleinen Miniatur-Plastikhocker setzt und penibel jeden Quadratmillimeter seines Körpers duscht, seift, rubbelt, wäscht, dann sollte man es nicht wagen ins Becken zu steigen. Das Duschen, Seifen, Rubbeln, Waschen ist nicht nur etwas Physisches, sondern auch Spirituelles. Rituale reichen zurück auf den Shintoismus und Buddhismus. Es geht nicht nur darum sauber zu werden, sondern sich auch von negativen Gedanken und Energien zu reinigen. Körper, Geist, Seele. So machen’s die Onsen-Profis - und ich versuche das auch.
Es gibt also viel zu gewinnen, aber auch ein bisschen was zu beachten, im Onsen. Den Bogen hat man aber relativ schnell raus. Im Zweifel gucke ich möglichst unauffällig nach links und rechts, was die Japaner so machen.
Die Übersetztungsapp hilft sehr am Kassenautomaten im Onsen. Pferdeöl-Körpercreme? Hm, lieber nicht.
Das hat geklappt: Der Automat spuckt drei Tickets aus, Eintrittskarte, Badetuch und Shampoo - das wohl unverzichtbar ist.
Wenn man einmal die ganzen Challenges bestanden hat, die mit dem Einchecken und der Kommunikation mit den Mitarbeitern besteht, dann geht’s gleich weiter, man muss konzentriert bleiben. Denn wenn man sich gerade freut, dass man erfolgreich sein Anliegen vermitteln konnte und mit der Bezahlung auch alles geklappt hat, dann ist da noch diese Sache mit den Schuhen.
Das mit den Schuhen ist in Japan vielerorts wichtig, auch - und wahrscheinlich gerade - im Onsen. Dazu eine kurze Übersicht, die allerdings eventuell nur für dieses Onsen hier gültig ist:
Eingangsbereich:
> Schuhe ja, alles andere nein
Vorräume:
> Schuhe nein, Socken ja, Barfuss ja, Badelatschen nein
Baderäume:
> Schuhe nein, Socken nein, Barfuss ja, Badelatschen nein
Onsen-Restaurant:
> Schuhe nein, Socken ja, Barfuss ja, Badelatschen nein
Toilette:
> Schuhe nein, Socken nein, Barfuss nein, aber Badelatschen ja
Solche Latschen stehen für jeden bereit in den meisten öffentlichen Toilettenräumen, selten passen sie.
Puh - das muss man alles erstmal auf die Reihe kriegen. Man möchte sich ja nicht blamieren oder gar andere mit seiner Schuh-Inkompetenz verärgern... Der Worst Case ist wohl zu vergessen, dass man die Toiletten-Latschen angezogen hatte und danach dann mit den Dingern im Restaurant steht, oder damit nach Hause geht.
Wie auch immer, dieses Onsen hier habe ich nicht nur gemeistert, sondern auch sehr genossen. Ein schöner Abschluss der Zeit auf Hokkaido, die nun langsam zu Ende geht. Das hat mir alles sehr gut gefallen. Landschaftlich aufregend und alles sehr Japanisch, aber nicht hektisch, sondern ländlich-entspannt und auch nicht überlaufen. Zumindest jetzt, im Oktober.
Hokkaido - wir sehen uns wieder!
Vielleicht dann mal im tiefsten Winter!